Am 1. Juli 1908, also vor über 100 Jahren, ist die JVA Werl als "Königlich-Preußisches Centralgefängnis" in Betrieb gegangen. Diese Zeitspanne gibt Anlass, einen Augenblick inne zu halten und zurück zu blicken.


Standortentscheidung

 

Jahrhunderte lang hatte Werl – im Mittelalter Grafen-Residenz, 1218 zur Stadt erhoben, Bollwerk des Fürstbischofs von Köln gegen Westfalen – sein Auskommen als Erbsälzer- und Ackerbürger-Städtchen. Gegen Ende des 19. Jahrhunderts sorgte die in voller Blüte stehende Industrialisierung im westlich gelegenen Ruhrgebiet für einen rasanten Aufschwung, während gleichzeitig Salzgewinnung und -handel stagnierten oder zurückgingen. Die entsprechenden Sorgen des Magistrats der Stadt blieben in der preußischen Metropole nicht ungehört: Berlin bot den Werler Ratsherren wahlweise die Ansiedlung eines größeren Industriebetriebes oder die Errichtung eines königlich-preußischen Centralgefängnisses an. Wie sich die Stadtväter entschieden haben ist bekannt. Spekulativ dagegen sind ihre Motive: Nicht verstummen will die Legende, das Votum der Ratsherren für das Gefängnis und gegen den Industriebetrieb mit seinen oft ledigen Wanderarbeitern habe sich an der Sorge um die Unbescholtenheit der Werler Töchter orientiert.

 

Die Preußische Baureihe

 

Mit seiner Inbetriebnahme zum o.g. Datum steht das Gefängnis in Werl am Ende einer ganzen Reihe von preußischen Gefängnis-Neubauten, beginnend etwa ab Mitte des 19. Jahrhunderts mit den Anstalten in Köln ("Klingelpütz" 1834/1845), Berlin-Moabit (1842) und Münster (1853), verstärkt aber ab 1885 – dem Jahr, in dem die "Grundsätze für den Bau und die Errichtung von Zellengefängnissen" erschienen sind, ein Arbeitsergebnis der Commission, welche in der Versammlung des Vereins der deutschen Strafanstaltsbeamten zu Wien am 20. September 1883 zur Ausarbeitung dieser Normalbedingungen niedergesetzt wurde.

Weisen die frühen Bauwerke dieser Reihe – dem nordamerikanischen, sog. pennsylvanischen Vorbild des Eastern State Penitentiary, Philadelphia (1829) folgend – zumeist noch einen strahlen- oder sternförmigen Grundriss auf, so sah der aus dem o.g. Grundsätzen abgeleitete sog. "Normalplan" einen rechtwinklig-vierflügeligen Kreuzbau in sog. panoptischer Bauweise vor, d.h. die Decken der vier Geschosse sind mittig offen und gewährleisteten so vom Schnittpunkt der Achsen des Kreuzes "Allübersichtlichkeit". Auf dieser Grundlage sind im heutigen Nordrhein-Westfalen nach den Vorläufern Köln und Herford (1882) die Anstalten in Düsseldorf (1889), Siegburg (1893), Willich-Anrath (1900), Remscheid-Lüttringhausen (1902), Rheinbach (1914) und eben in Werl ab 1905 errichtet worden.

Bahnbrechend Neues, ja: Innovatives, war diesem enormen Bauprogramm eigen, das in diesen Jahrzehnten noch weitere Neubauten in anderen Landesteilen Preußens generierte: Erstmals in großem, nahezu flächendeckendem Umfang vermochte es ein Staat für den Vollzug der Freiheitsstrafe eine Vielzahl allein zu diesem Zweck errichteter Gebäude zur Verfügung zu stellen. Schritt für Schritt beendete die preußische Justizverwaltung damit die unzureichende, oftmals unhygienische und menschenunwürdige Unterbringung von Gefangenen in Baulichkeiten, die ursprünglich anderen (meist militärischen) Zwecken zu dienen bestimmt waren: Burgen, Schlösser, Festungen, Teile von Stadtbefestigungen, gelegentlich auch aufgegebene Klöster.

 

Exkurs: Strafvollzug vom Mittelalter bis zur Schwelle des 20. Jahrhunderts

 

Solche Gebäude zu Vollzugszwecken zu nutzen, folgte einer Jahrhunderte alten Tradition und entsprach dem Verständnis von Strafrecht und Strafprozessrecht auf Seiten der Mächtigen in Mittelalter und früher Neuzeit. Danach war Freiheitsentzug eher nur zur Sicherung des Strafverfahrens bis zur Verurteilung (im Sinne der heutigen Untersuchungshaft) gebräuchlich, wohingegen der Katalog strafrechtlicher Sanktionen für gerichtlich festgestellte Schuld ganz überwiegend aus den sog. Leibesstrafen bestand: Strafen "an Haut und Haar" für geringere, Strafen "an Kopf und Hand" für mittlere Delikte wie Diebstahl oder Raub, Todesstrafe mit Marterung (z.B. Rädern, Vierteilen) für Kapitalverbrechen wie Mord oder Hochverrat, daneben Verbannung aus Stadt- oder Dorfgemeinschaft, Vermögenskonfiskationen, Zwangsarbeit auf Galeeren o.ä.. Nach der "Peinlichen Halsgerichtsordnung" Karls V. von 1532, einem ersten Versuch, das durch den Zerfall der Reichsgewalt zunehmend zersplitterte Strafrecht und Strafprozessrecht zu vereinheitlichen und insbesondere erstmals Freiheitsentzug als Strafe zu kodifizieren, wurde dieses Sanktionssystem flankiert durch ein Strafprozessrecht, das als zentrales Element zur Überführung des Missetäters sein oft durch Folter oder die Androhung derselben erzwungenes Geständnis voraussetzte.

Nach ersten Vorstößen zum Ende des 16. Jahrhunderts wurden in Europa diese heute archaisch anmutenden Sanktionsformen auf breiter Front erst mit der staatsphilosophischen Bewegung der Aufklärung und – ihr folgend – der Französischen Revolution (1789) sowie den amerikanischen Bill of Rights (1791) in Frage gestellt. Einen Meilenstein auf diesem Weg der Zivilisierung des Strafrechts stellte das Preußische Allgemeine Landrecht vom 1. Juni 1794 dar, das – nach Abschaffung der Folter in Preußen schon 1740 durch Friedrich II. von Preußen – die Leibesstrafen zurückdrängte und die ("einfache") Todesstrafe auf schwerste Verbrechen beschränkte. Erst jetzt, als – in historischer Dimension gesehen: plötzlich – in großem Umfang auch der langjährige Freiheitsentzug als Sühne für begangenes Unrecht und mit dem Ziel der Besserung des Übeltäters an die Stelle der Körperstrafen trat, erkannten die Mächtigen die Notwendigkeit sicherer und angemessener Unterbringung: "Das beste Strafgesetz wird […] den Zweck […] nur sehr unvollkommen erreichen, wenn nicht durch zweckmäßige Anstalten für die Besserung solcher Verbrecher, die dazu noch Hoffnung geben, […] gesorgt wird." (Friedrich Wilhelm III. von Preußen 1801). So fand schon wenige Generationen später der von Vernunft und Humanität geprägte Veränderungsprozess des materiellen Strafrechts, vorbereitet und begleitet durch inhaltlich ausgerichtete Reformbewegungen z. B. von Theodor und Friederike Fliedner oder Johann-Heinrich Wichern, auch in dem obig erwähnten Bauprogramm seine Entsprechung in der "Zivilisierung" auch des Strafvollzuges (vgl. hierzu Michel Foucault: Überwachen und Strafen. Die Geburt des Gefängnisses (Paris 1975)) und läutete das Ende von dunklen Verliesen und feuchten Kasematten ein; für die Gefangenen ein Quantensprung in der Verbesserung ihrer Haftbedingungen.

Das Königlich-Preußische Zentralgefängnis in Werl von 1908 - 1918

 

Fürsorge und Strafe im Namen Seiner Königlichen Majestät

In bemerkenswert kurzer, gut dreijähriger Bauzeit wurde die Anstalt fertig gestellt. Die Anlage bestand aus dem von einer 4,50 m hohen Mauer umgebenen vierflügligen Kreuzbau mit angeschlossenem Lazarett – dem heutigen Haus I –, das zunächst Platz für 612 Gefangene bot, den Wirtschafts- und Arbeitsgebäuden sowie 19 außerhalb der Umwehrung gelegenen Häusern für Bedienstete. Die Baukosten betrugen insgesamt 1.440.300 Reichsmark in Gold, nach heutigem Geldwert ca. 6,9 Millionen Euro. Pro Haftplatz entspricht dies ca. 2.354 Reichsmark oder 11.291 Euro. Demgegenüber ist mit ca. 150.000 Euro pro Haftplatz (Stand: 2008) für einen aktuellen Neubau nahezu das 14-fache zu veranschlagen. Aufwändigere Haus- und insbesondere Sicherheitstechnik, unentbehrlich erscheinende Architektenwettbewerbe und insbesondere der heute undenkbare – vor 100 Jahren aber selbstverständliche – Einsatz von Gefangenen als Bauarbeiter dürften die wesentlichen Gründe für die doch erhebliche Verteuerung darstellen.

Bauarbeiten an Hafthaus I - auch durch Gefangene (Juni 1906) Quelle: JVA Werl

Gerade der letztgenannte Aspekt steht für einen späten Reflex einer anderen, auf Merkantilismus und Frühkapitalismus zurückgehenden Entwicklung im Freiheitsentzug: Die Entdeckung der Gefangenen als billige Arbeitskräfte. Wirtschaftliche Aspekte lagen nicht nur beim Bau, sondern auch beim Betrieb einer preußischen Anstalten wie in Werl durchaus im Blickfeld der Verantwortlichen: Das anstaltseigene landwirtschaftliche Gut bot zahlreiche Arbeitsplätze für Gefangene und garantierte zugleich eine weitreichende Selbstversorgung zu niedrigen Kosten. So ging das königlich-preußische Centralgefängnis in Werl am 1. Juli 1908 in Betrieb.

Außenplantage der JVA Werl mit arbeitenden Gefangenen (undatiert, zwischen 1908 und 1933) Quelle: JVA Werl

Wohl ganz anders als heutzutage war dies der örtlichen Presse nur eine vergleichsweise kleine Meldung wert. Welche Gefangenen das neue Gefängnis aufzunehmen hatte, orientierte sich – wie heute auch – daran, in welchem Landgerichtsbezirk der Tatort oder der Wohnort des Verurteilten lag und umfasste im Wesentlichen das Ruhrgebiet. Das Ruhrgebiet nahm in Folge der Industrialisierung ab Mitte des 19. Jahrhunderts einen beispiellosen Aufschwung und hatte in dessen Folge einen enormen Zuzug insbesondere von Industriearbeitern und damit einhergehend auch einen Anstieg von Kriminalität zu verzeichnen. So reichte das Spektrum der in dieser Zeit in Werl verbüßten Delikte von Diebstahl und Betrug über sog. Sittlichkeitsverbrechen wie Blutschande, Kuppelei und Zuhälterei bis hin zu Jagdvergehen, Haus- oder Landfriedensbruch und Münzverbrechen. Die wegen Diebstahls Verurteilten stellten in den ersten Jahren drei Viertel und zum Ende des 1. Weltkrieges noch die Hälfte der Gefangenenpopulation dar, wogegen die anderen Deliktarten mit jeweils unter 10 % vertreten waren. In den ersten 20 Jahren war das Gefängnis Werl allein zum Vollzug von Freiheitsstrafen bis zu 3 Jahren bestimmt.

Die Königlich-Preußischen Gefängnisbeamten im Vollzugsalltag

Personalkörper aus den Anfangsjahren der JVA Werl (um 1910) Quelle: JVA Werl

Haftraumarbeit Schuhreparatur (undatiert, vermutlich Anfang 20. Jhd.) Quelle: JVA Werl

"Ich schwöre zu Gott dem Allmächtigen und Allwissenden, dass seiner Königlichen Majestät von Preußen, meinem Allergnädigsten Herrn, ich unterthänig, treu und gehorsam sein und allen mir vermöge meines Amtes obliegenden Pflichten nach meinem besten Wissen und Gewissen genau erfüllen, auch die Verfassung gewissenhaft beachten will, so wahr mir Gott helfe!" Diese Eidesformel in der Fassung von 1908 hatte auch die Beamtenschaft des Königlich-Preußischen Centralgefängnisses in Werl zu leisten, die sich in Struktur und Anzahl von den heutigen Verhältnissen deutlich unterschied. Dem ersten Direktor, Dr. Hiekmann, standen je ein Geistlicher beider christlicher Konfessionen, ein Vertragsarzt, ein Oberlehrer, vier Inspektoren und eine nicht exakt bekannte Zahl an – damals so bezeichneten – Aufsehern und Oberaufsehern zur Verfügung.

Arbeit und Schulbildung der Gefangenen

In der Königlich-Preußischen Justizverwaltung scheint die Arbeitspflicht der Gefangenen derart selbstverständlich gewesen zu sein, dass es an einer ausdrücklichen Kodifizierung fehlt. Indessen ergibt sie sich schlüssig aus § 71 Satz 6 der Gefängnisordnung, wonach nämlich "die verschuldete Nichtleistung [...] disziplinarisch zu ahnden" war.

Als Arbeitsbetriebe standen die Bäckerei, die Küche, die Wäscherei, die Schlosserei, die Schreinerei, die Dörrerei, die Heißmangel, je ein Betrieb zur Matten- und Korbherstellung, zur Tütenherstellung und zur Schuhreparatur und schließlich der landwirtschaftliche Gutsbetrieb innerhalb und außerhalb der Anstaltsmauern zur Verfügung. Mit Ausnahme des letztgenannten fanden alle Arbeitseinsätze nur innerhalb der Anstaltsmauern statt: Entweder in strenger Isolation von anderen Gefangenen als sog. Zellenarbeit, also auf dem (Einzel-)Haftraum, oder gemeinsam in Arbeitsbetrieben.

Diese verschiedenen Formen des Arbeitseinsatzes konnten auch hintereinandergeschaltet werden: Zunächst Zellenarbeit, dann Arbeit in anstaltsinternen Betrieben, dann Arbeitseinsatz im Außengelände der Anstalt und auf den zugehörigen Feldern.

Aus der Sicht des einzelnen Gefangenen stellte sich ein so gestalteter Vollzug in weiten Teilen als Isolierung von anderen Gefangenen dar: Nimmt man die Arbeitssituation auf seiner Einzelzelle und die Schweigegebote während der Freistunde und des Gottesdienstes zusammen, so beschränkten sich die Kontakte zu anderen Gefangenen auf die Sport- und Unterrichtsstunden. Nach der Arbeit konnten bestimmte Gefangene am Schulunterricht teilnehmen, wobei dieser in vier Klassen unterteilt war: Die 1. Klasse für besonders begabte Gefangene, die 2. Klasse für Gefangene, welche zuvor noch keine Freiheitsstrafe verbüßt hatten, die 3. Klasse für Gefangene, welche wiederholt in Haft waren, und die 4. Klasse für schlechtbegabte oder schlecht vorgebildete Gefangene.

Schulraum (undatiert) Quelle: JVA Werl


Verkehr mit der Außenwelt

Die Kontakte des königlich-preußischen Gefangenen nach "draußen" waren streng reglementiert und verknappt: Gemäß § 79 der Gefängnisordnung standen nach Erlaubnis durch den Gefängnisvorsteher jedem Gefangenen "in der Regel einmal im Monat Besuche Angehöriger und in besonderen Fällen auch anderer Personen", "bei gutem Verhalten des Gefangenen [...] auch in kürzeren Zwischenräumen [...] zu." Sehr eingeschränkt war auch der Schriftverkehr: Gemäß § 80 der Gefängnisordnung durfte "vorbehaltlich weitergehender Bewilligungen aus besonderen Gründen […] jeder Strafgefangene nur alle vier Wochen einen Brief absenden und einen Brief empfangen"; die selbstverständliche Briefzensur oblag dem Gefängnisdirektor, nach ihm den Anstaltsgeistlichen.

Das Gefängnis in der Weimarer Republik (1919 - 1933) Bürgerkrieg und Pädagogik im Vollzug

 

Das Ende des Ersten Weltkrieges bedeutete ein ordnungspolitisches Vakuum: Die alte Struktur, das Kaiserreich, war zerbrochen. Infolge des Versailler Vertrages fühlte sich eine Viertel Million von den Schlachtfeldern zurückkehrender frustrierter Soldaten ohne sinnstiftende Aufgabe, die russische Oktober-Revolution drohte in Gestalt des Spartakus-Bundes nach Westen zu schwappen. Dieser manchmal bürgerkriegsähnlichen Zustände Herr zu werden fiel der jungen Weimarer Republik, der ersten Demokratie auf deutschem Boden, alles andere als leicht. Schon das noch aus der Kaiserzeit stammende Strafrecht erlaubte neben der Verhängung von Freiheitsstrafen für unerwünschte politische Betätigung auch die Anordnung von sog. Schutzhaft, eine Art vorbeugender Internierung – übrigens ein Vorläufer des einschlägigen nationalsozialistischen Unrechts, das 15 Jahre später die Konzentrationslager füllen sollte. Auch am Werler Gefängnis gingen die Wirren dieser Jahre nicht spurlos vorüber: So berichtete Direktor Christian Suffenplan am 15. Januar 1920 seinem Vorgesetzten, dem Oberstaatsanwalt in Hamm, über seine politischen Gefangenen voller Sorge Folgendes:

"In der letzten Zeit erklären die Schutzgefangenen offen, wenn sie nicht in kurzer Zeit entlassen würden, würden sie schon bald herausgeholt werden. Wenn auch die Erfahrung gelehrt hat, derartigen Äußerungen ein großer Wert nicht beizumessen ist, so erscheint mir doch, mit Rücksicht auf die politische Lage, Vorsicht am Platze […] Euer Hochwohlgeborenen bitte ich daher, gehorsam zu berichten, dass das Wehrkreiskommando, solange es Schutzgefangene hier unterbringt, auch eine ausreichende Wache stellt. Mithin sind zur Verteidigung der Anstalt mindestens ein Offizier, einige Unteroffiziere und 30 Mann sowie 3-4 Maschinengewehre erforderlich." Zunächst blieb dieser Hilferuf jedoch ungehört.

Knapp zweieinhalb Monate später erhielt Gefängnisdirektor Suffenplan die unheimliche Nachricht, dass in der Stadt Werl eine starke "Rote Truppe" von einigen tausend Kommunisten und Spartakus-Bündlern angekommen sei, die beabsichtige, ihre im Werler Gefängnis einsitzenden Gesinnungsgenossen zu befreien. In seinem Bericht an den Oberstaatsanwalt in Hamm vom 2. April 1920 heißt es zu den dramatischen Geschehnissen u.a.:

"Um 12.30 Uhr nachmittags erschienen [...] drei Mitglieder des Vollzugsrats in Werl, mit einem Vertreter der "Roten Truppen". Der erklärte, er habe nur mit Mühe die "Roten Truppen" davon abhalten können, zum Gefängnis zu ziehen und sämtliche Gefangene zu befreien. Er verlange jedoch Freigabe der politischen Gefangenen. Ich sagte die Erfüllung der Forderung zu und versprach die Freilassung der wegen Landfriedensbruchs, Vergehen gegen das Belagerungsgesetz, Aufruhr usw. rechtskräftig verurteilten Personen. 40 Gefangene wurden im Laufe des Nachmittags entlassen. Während dieser Zeit erschienen in kurzen Abständen zwei schwer bemannte Lastautos der "Roten Truppen" und forderten die Freilassung bestimmter Gefangener, die wegen räuberischer Erpressung einsaßen. Ich gab sieben Gefangene frei, sodass insgesamt 49 Gefangene herauskamen (zwei wurden schon in den Morgenstunden befreit). Irgendwelcher Sachschaden ist nicht entstanden, die Leute der "Roten Truppen" benahmen sich ruhig und anständig. "Jetzt endlich ließ die Reaktion der vorgesetzten Behörden nicht mehr lange auf sich warten: Etwa einen Monat später heißt es in einem weiteren Bericht des Anstaltsleiters an den Oberstaatsanwalt in Hamm:

"Euer Hochwohlgeboren berichte ich gehorsamst, dass eine Kompanie des Reichswehr-Infanterie-Regiments 103 in Werl untergebracht ist und durch eine ständige Wache den Schutz des Gefängnisses übernommen hat."

Im weiteren Verlauf der 1920er Jahre stellte sich eine behutsame Entwicklung auch des Werler Vollzuges weg von Königlich-Preußischer Rigidität und Fürsorge hin zu einem eher pädagogisch geprägten Vollzugskonzept ein. Zunehmend rückte auch im Werler Vollzugsalltag der Erziehungs- oder Resozialisierungsgedanke in den Vordergrund: Erwünschtes Verhalten der Gefangenen, insbesondere gute Führung und gute Arbeitsleistungen, wurden verknüpft mit dem schrittweisen Abbau interner Restriktionen oder der Gewährung von Vergünstigungen in einem dreistufigem System.

1933 - 1945: Vom Gefängnis über das Zuchthaus zur Sicherungsanstalt – Ausbeutung, Härte, Rassenwahn –

 

Nur wenige Jahre später ließ eine sich allzu rasch braun einfärbende Strafjustiz als willfähriger Vollstrecker des nationalsozialistischen Menschenbilds einen ganz anderen, viel härteren Wind durch die Anstalt wehen. Damit einher ging ein Wechsel in der Zuständigkeit der Anstalt: Ab 1928 war die Anstalt auch für die Aufnahme von Zuchthausgefangenen bestimmt, ab 1934 erhielt die Anstalt zusätzlich die Zuständigkeit für den Vollzug der damals neu eingeführten Sicherungsverwahrung, wodurch in den Folgejahren die Belegung mit Gefängnis- und Zuchthausinsassen zunehmend zurückgedrängt wurde. Ab dem 1. Januar 1937 war die Anstalt ausschließlich für den Vollzug der Sicherungsverwahrung aus den Oberlandesgerichtsbezirken Hamm, Düsseldorf, Celle, Oldenburg und Braunschweig bestimmt.

Nach kleineren Ausbaumaßnahmen innerhalb der alten Umwehrungsmauer wurden 1938 die bislang außerhalb der Mauer gelegenen Gärten und Äcker der Anstalt in die Umwehrung einbezogen und die Unterbringungskapazität durch den Bau zweier neuer Hafthäuser mehr als verdoppelt. Auch hier spiegelt die Architektur des neu errichteten Hauses II – ausgeführt als rechteckiger zweigeschossiger Zellenblock, dessen vier Flügel ein Atrium umschlossen – Menschenbild und Vollzugskonzeption nationalsozialistischer Prägung wider: Harte industrielle Arbeit im Übermaß und eine verschärfte Disziplin standen im Vordergrund, der Bewegungsradius der Insassen sollte eingegrenzt, ein Verlassen des neuen Haftbereichs im Regelfall vermieden werden.

Deshalb waren im Erdgeschoss Werkstätten und im Obergeschoss Einzelhafträume für 180 Insassen, überwiegend sog. Schlafzellen von je gut 6 m² Grundfläche, vorgesehen. Neben einer Gemeinschaftsdusche gab es Verwaltungsräume, eine eigene Bücherei und – in Gestalt des von den Zellentrakten umschlossenen Atriums – einen eigenen Freistundenhof. Im Prinzip handelte es sich daher um ein Gefängnis im Gefängnis.

Im gleichen Jahr begann man mit dem Bau des dritten Hafthauses, das für weitere 800 Gefangene bestimmt war. Auch dieses Hafthaus, dessen drei Flügel eine T-Form bildeten, wurde im panoptischen Stil errichtet. Das vierstöckige Gebäude bestand überwiegend aus Doppelzellen von 11,5 m² Grundfläche. Das Hafthaus III hatte eine direkte Verbindung mit einer riesigen freitragenden Arbeitshalle, der sog. "Veltruphalle".

Durch diese Baumaßnahmen und Änderungen in der Zuständigkeit war aus dem mittelgroßen preußischen Gefängnis von 1908 ein immenses Zuchthaus geworden, das in den Kriegsjahren fast 2.000 Menschen aufnahm.

 

Die nationalsozialistischen Machtübernahme 1933 hatte auch umgreifende Veränderungen für das Gefängnisleben zur Folge. Der neue Anstaltsleiter, Dr. Faber, verwirklichte 1936 sehr schnell die neuen Pläne der NSDAP-Führung für die Werler Sicherungsanstalt, die hauptsächlich auf die Produktion von Waffen ausgerichtet waren.

Neben der ideologischen Gleichschaltung entdeckte der nationalsozialistische Machtapparat die Gefangenen als billige Arbeitskräfte für die Rüstungsproduktion: Statt handwerklicher Produkte wurden jetzt in großer Zahl Rüstungsgüter hergestellt: Munition, Granatenzünder, Revolverbänke und Gasmasken. Zum reibungslosen Abtransport der kriegswichtigen Erzeugnisse wurde sogar ein Bahngleis angelegt, das die Sicherungsanstalt mit der Außenwelt verband. Je wichtiger die Produktionsbetriebe der Anstalt im Räderwerk der Rüstungsindustrie wurden, umso mehr sorgte der dem Nazi-Regime treu ergebene Anstaltsleiter Dr. Faber durch eine ganze Reihe sukzessiver Maßnahmen dafür, die Sicherheit der Anstalt und die Disziplin der Gefangenen zu erhöhen:

Im Rahmen der Erweiterung der Anstalt wurden in die auf 5,5 m erhöhte Anstaltsmauer sechs Beobachtungstürme, die sog. Kanzeln, integriert, die rund um die Uhr mit bewaffneten Posten besetzt waren.

Zur Verstärkung der Außensicherung wurde eine Gruppe von SS-Leuten in die Anstalt verlegt; später übernahmen kriegsverwundete Soldaten der Wehrmacht diese Aufgabe, die sich auch einer Hundestaffel bedienten.

Werkzeuge, Arbeitsgeräte, Fahrzeuge und andere zur Flucht verwendbare Gegenstände durften nicht in der Nähe der Außenmauer gelagert werden.

Hafträume von fluchtverdächtigen und gefährlichen Gefangenen, die in einem besonderen Verzeichnis geführt wurden, durften nur von zwei Beamten gleichzeitig aufgeschlossen und betreten werden.

Der Aufenthalt im Freien wurde auf die hellen Tageszeiten beschränkt; außerhalb der Hafträume durften sich die Gefangenen nicht ohne ständige und unmittelbare Aufsicht durch einen Beamten bewegen.

Auch wurde unter den Insassen stärker differenziert. Zum einen durch die Unterscheidung von Strafgefangenen und Sicherungsverwahrten: Letztere mussten die weißen Buchstaben "SV" auf der Jacke und eine Hose mit grüner Borde tragen. Zum anderen wurde – der nationalsozialistischen Ideologie folgend – nach Personen "deutschen und fremden Blutes" unterschieden, u.a. mit dem Ziel nur diejenigen, die "deutschen oder artverwandten Blutes" waren, mit Härte zu "guten und brauchbaren Mitgliedern der Volksgemeinschaft" zu formen.

Insgesamt waren drastische Einschränkungen von Rechten der Insassen, verschärfte Disziplin, Ausbeutung durch Arbeit und menschenverachtende Rassenideologie kennzeichnend für diese Periode. Als groteskes Symbol stehen dafür die mit Maschinenpistolen bewaffneten SS-Posten, die während des Gottesdienstes von der Empore der Kirche aus die betenden Gefangenen überwachen, als ebenso zynische wie folgerichtige Umsetzung eines dem Reichsminister der Justiz, Dr. Hans Frank, zugeschriebenen Zitats: "Der nationalsozialistische Staat verhandelt mit den Verbrechern nicht, er schlägt sie nieder!"

Aus der Sicht der nationalsozialistischen Kriegsherren hatte die Rüstungsproduktion in Strafanstalten neben dem wirtschaftlichen Aspekt der billigen Arbeitskräfte noch einen weiteren Vorteil: Mit einigem Recht gingen sie davon aus, dass die alliierten Bomberverbände Strafanstalten in der Regel nicht bombardierten, weil sie mit der Unterbringung alliierter Kriegsgefangener rechneten. In einem früheren Abriss der Anstaltsgeschichte aus der Feder Dr. Koepsels, des Leiters der Anstalt in den Jahren 1984 bis 1992, heißt es zum Schicksal der Anstalt und der in ihr lebenden Menschen in den letzten Kriegsjahren u.a. wie folgt:

"So kam es, dass nur ein kleiner Teil des nördlich zum Flugplatz gelegenen Zellenblocks und ein neben dem Flugplatz liegendes Dienstwohnungsgebäude Opfer eines alliierten Bombenangriffs wurden, bei dem 37 Menschen starben. Während des Krieges blieben die Gefangenen auch bei Bombenangriffen in ihren Zellen "hinter Schloss und Riegel" während die Beamten in dem neben der Eingangspforte erbauten Luftschutzbunker Platz fanden. Übereinstimmend berichteten Beamte jener Tage, dass die Häftlinge angsterfüllt aus den Zellenfenstern schrien, wenn die alliierten Bomberverbände den Flugplatz nördlich der Anstalt bombardierten. Anstaltsleiter Dr. Faber war dadurch nicht zu beeinflussen, er saß mit seiner Familie im sicheren Bunker. Er ließ allerdings sein Dienstfahrzeug durch seinen Fahrer abends in den Stadtwald fahren, damit es nicht im Luftangriff zerstört würde. Wen wundert es, dass ein solcher Mann in den letzten Kriegsjahren Furcht vor dem Aufruhr der fast 2.000 Zuchthausgefangenen und Sicherungsverwahrten bekam. So wurde eine Gruppe von SS-Leuten in die Anstalt verlegt, und kriegsverwundete Soldaten der Wehrmacht verstärkten das Personal.

Wie der Werler Ehrenbürger Dechant i. R. Hellmann, welcher 1944/45 als Vikar in der Anstaltskirche die Messe lesen musste, berichtete, haben SS-Posten von den ursprünglich für den Direktor und Anstaltsbeamte gebauten Logen rechts und links oberhalb des Altarraums ihre Maschinenpistolen während der Messe in die überfüllte Kirche gehalten. In einer sogenannten "Abgabeaktion" wurden seit Ende 1942 aus deutschen Strafanstalten, u.a. auch aus Werl, Strafgefangene in Konzentrationslager zur "Vernichtung durch Arbeit" überstellt. Für die "Abgabe" ausgewählt wurden Gefangene, die in irgendeiner Weise auffällig geworden waren, als "asozial", "geisteskrank" oder "äußerlich asozial" (körperlich missgebildet oder einfach nur hässlich) eingestuft waren. Die Verpflegung der Gefangenen war im Hinblick auf die Notwendigkeit der Munitionsproduktion auch in Kriegszeiten noch ausreichend, so dass fast 2.000 körperlich nicht zu sehr entkräftete Häftlinge am 22. April 1945 mit einem in ganz Werl zu hörenden lauten Jubelschrei ihre amerikanischen Befreier begrüßten. Der Anstaltsleiter Dr. Faber hatte sich nach Aussagen ehemaliger Beamter rechtzeitig vor Kapitulation abgesetzt, sein Vertreter, ein Amtmann, der den Amerikanern vor der Übergabe der Anstalt den "deutschen Gruß" entbot, erntete einen Schlag eines Soldaten, die Justizbeamten wurden entwaffnet und mussten in einer für die internationale Presse mehrfach zu wiederholende Prozedur ihre Schlüssel auf einen großen Haufen werfen. Die SS-Bewacher waren vor der Übergabe der Anstalt geflohen.

Die Gefangenen wurden entlassen, ein ehemaliger angeblich wegen mehrfachen Betrugs verurteilter Englisch sprechender Sicherungsverwahrter wurde zum wesentlichsten Gesprächspartner der Amerikaner und entschied über Wohl und Wehe der gefangengenommenen Justizbeamten. Anstaltsleiter wurde wenige Tage nach der Befreiung der kanadische Major Porrier, der nach Durchsicht der Akten die meisten Beamten nach einigen Wochen wieder mit der Bewachung der alten und bald auch neuer Gefangener betraute."

Allied Prison, 1945 - 1954: Todesurteile, Frauengefängnis und Generalsfetisch

 

So sehr alle rechtschaffenen Deutschen, so auch die Werler Bürger, die Ereignisse im Frühjahr 1945 als Befreiung von Nazi-Herrschaft und Bombenterror empfunden haben, so wenig hielten in den Nachkriegsjahren Humanität und Rechtsstaatlichkeit Einzug in den Werler Vollzug. Vielmehr wurde unter der Herrschaft der Befreier – auf Major Porrier folgte in den Jahren 1946 bis 1954 der englische Oberstleutnant Vickers als Anstaltsleiter – das dunkelste Kapitel in der Geschichte des Werler Gefängnisses aufgeschlagen.

Zu Beginn hatte das in Werl eingerichtete Militärgericht der 9. US-Armee die Spuren nationalsozialistischen Unrechts aufzuarbeiten. So wurden in summarischen Verfahren alle Gefangenen dazu vernommen, ob sie aus politischen Gründen oder solchen allgemeiner Kriminalität inhaftiert waren. Binnen Kurzem haben die Amerikaner von den 1.700 Insassen 150 solcher Gefangener freigelassen, von denen das Militärgericht überzeugt war, dass sie aus politischen Beweggründen eingesperrt worden waren. Nachdem das Militärgericht auch die Überprüfung der im Gefängnis weiter tätigen Beamten im Hinblick auf ihr Verhältnis zum Nationalsozialismus abgeschlossen hatte, wurde es mit Verfahren gegen Deutsche befasst, denen Kriegsverbrechen zum Vorwurf gemacht wurden. Aus fragmentarischen Akten der Besatzungszeit ergibt sich, dass in den ersten beiden Nachkriegsjahren 226 deutsche Kriegsverbrecher in Werl inhaftiert waren, darunter 17 Frauen. Von den männlichen Kriegsverbrechern waren 58 zum Tode verurteilt worden.

In der Zeit vom 23.08.1946 bis 06.01.1947 wurden sieben von ihnen auf dem Schießplatz an der Neheimer Straße erschossen. Die im Übrigen zum Tode Verurteilten wurden Ende 1946 in die JVA Hameln verlegt, um dort hingerichtet zu werden.

Mögen Verurteilungen und Hinrichtungen dieser deutschen Kriegsverbrecher als Abrechnung mit der Nazi-Epoche verstanden werden, so verdienen die Einzelschicksale einer anderen Gruppe von Insassen in der Nachkriegszeit auch und gerade heute unsere Aufmerksamkeit: es sind die ehemaligen sog. Fremd- und Zwangsarbeiter. In den letzten Tagen des Krieges befanden sich allein auf dem Gebiet des heutigen Nordrhein-Westfalens zwei Millionen Zwangsarbeiter und 400.000 Kriegsgefangene aus der ganzen Welt. Auch nach der Befreiung von der braunen Diktatur hatten diese jungen Menschen die Last ihrer im Krieg erlebten tragischen Erfahrungen zu tragen. Sie waren schon in jungen Jahren gewaltsam aus ihren Familien herausgerissen, nach Deutschland verschleppt und zu schwerster körperlicher Arbeit gezwungen worden. Ohne Familienwärme, in fremder und sie degradierender Umgebung hatte sich ihr Charakter ausgebildet. Auf die Folgen brauchte man nicht lange zu warten: Nach der Befreiung begingen sie aus verschiedensten Gründen z.T. schwere Verbrechen und bekamen die Härte des alliierten Kriegsrechts zu spüren. Insgesamt wurden an 35 Inhaftierten der JVA Werl Todesurteile durch Erschießen vollstreckt. Darunter befanden sich – neben den schon erwähnten sieben deutschen Kriegsverbrechern – 26 Polen, ein Türke und ein Italiener. Alle Exekutionen wurden in der Frühe zwischen 06.00 Uhr und 09.00 Uhr auf dem Gelände des Schießplatzes an der Neheimer Straße, wenig mehr als ein Kilometer von der Anstalt entfernt, vollstreckt. Den Verurteilten wurde eine schwarze lange Kapuze mit einer roten Markierung übergezogen, die das Herz zu lokalisieren helfen sollte. Zehn Soldaten, die ein Offizier befehligte, bildeten das Exekutionskommando, dem bekannt war, dass einem Schützen eine leere Patrone gegeben wurde, sodass jeder denken konnte, er erschieße niemanden. Ein Mitglied des Militärgerichts und andere hohe Offiziere waren Zeugen der Exekution; anschließend musste der Anstaltsarzt den Tod des Verurteilten feststellen.

In den Nachkriegsjahren bildeten nicht Deutsche, sondern Gefangene polnischer Nationalität den größten Teil der Insassen. Als ehemalige Zwangsarbeiter oder Kriegsgefangene gehörten sie dabei zu den jüngsten, drei von den zum Tode verurteilten Polen waren am Tag der Vollstreckung gerade 20 Jahre alt. Alle ehemaligen polnischen Zwangsarbeiter, die meist wegen Raubes, Plünderns, Vergewaltigung oder Mordes an deutschen Bauernfamilien zum Tode verurteilt wurden, waren sehr jung. Bis zum letzten Moment versuchten sie auf verschiedene Art und Weise, ihr junges Leben zu retten, entweder durch Flucht oder durch offizielle Gnadengesuche. So schrieb ein 22-jähriger polnischer Todeskandidat an das Militärgericht in Iserlohn folgendes Gesuch:

"Ich habe an dem Warschauer Aufstand 1944 teilgenommen und bin im verwundeten Zustand gefangen genommen und nach Deutschland gebracht worden. Seit 1939 war ich ein Kämpfer als Mitglied der polnischen Freiheitsbewegung. Ich bitte die alliierten Behörden, Rücksicht zu nehmen, dass ich die Tat in einem gänzlich bewusstlosen Zustand begangen habe. Ich war dermaßen betrunken, dass ich erst nach meiner Festnahme erfahren habe, was ich angerichtet habe. Ich bedauere aufrichtig das Verbrechen, welches ich so unbewusst verübt habe. Ich bitte um Abänderung des Todesurteils in eine Freiheitsstrafe. Meine Frau erwartet die Geburt eines Kindes Anfang März."

Das Gnadengesuch blieb ohne Erfolg; Im Alter von 23 Jahren wurde er am 20. Mai 1947 um 07.15 Uhr in Werl erschossen.

Um den polnischen Insassen die Möglichkeit muttersprachlichen Unterrichts und einer in polnischer Sprache gehaltenen Messe zu geben, wurden in den Dienst der Anstalt polnische Priester und Lehrer eingestellt. Wie schon zu königlich-preußischen Zeiten spielte die Kirche weiterhin eine wichtige Rolle im Alltagsleben der Gefangenen. Die Priester fanden unter den polnischen Gefangenen Gehör und großen Respekt, weil sie sich um sie kümmerten. Sie begleiteten die Insassen auch in dem schlimmsten Augenblick ihres Lebens: Ein Priester verbrachte die letzte Nacht des zum Tode Verurteilten in dessen Zelle, wo er eine Messe mit ihm zusammen feierte. Er bereitete den Menschen auf den Tod vor und begleitete ihn zur Hinrichtung.

Kennzeichnend für die vom Militärgericht verhängten Sanktionen war, dass die Urteile zwar sehr streng waren, die Verbüßung der Strafe jedoch einen sehr unterschiedlichen Verlauf nehmen konnte. Bei guter Führung konnte man bereits nach der Hälfte der Strafe aus der Haft entlassen werden. Eine andere Möglichkeit, die Verbüßung vorzeitig zu beenden, bestand im Eintritt in die Fremdenlegion; in diesem Fall spielte die Länge der Strafe keine Rolle.

Kurz nach dem Krieg wurde zum ersten Mal in der Geschichte des Werler Gefängnisses eine Abteilung für weibliche Inhaftierte eingerichtet. Für das Besatzungsregime war dies eine Notwendigkeit, weil die Zahl der durch Frauen verübten Verbrechen rasant angestiegen war. Diese neue Zuständigkeit forderte nicht nur die umfangreiche Beschäftigung von weiblichen Vollzugsbediensteten, sondern auch einige bauliche und organisatorische Maßnahmen, um die weiblichen Gefangenen von den männlichen Insassen zu trennen. Demzufolge wurde das isoliert gelegene Atrium des Hafthauses II für weibliche Gefangenen eingerichtet; 20 weibliche Bedienstete waren dabei für über 120 weibliche Gefangene zuständig. Trotz aller Verbote und Sanktionen versuchten naturgemäß weibliche und männliche Gefangene miteinander in Kontakt zu kommen. Die Kommunikation zwischen beiden Inhaftierten-Gruppen konnte in der Kirche, im Lazarett oder – was selbstredend streng verboten war – durch die Beamten erfolgen.

Machten die Alliierten Besatzungstruppen mit den sog. kleinen Leuten – Deutschen wie Ausländern – oft kurzen Prozess, so erging es anderen deutlich besser, z.B. einigen der im zweiten Nürnberger Kriegsverbrecher-Tribunal verurteilten Generäle der ehemaligen deutschen Wehrmacht. Im Einzelnen waren dies:

  • Generalfeldmarschall von Manstein, verurteilt zu 18 Jahren Zuchthaus, 1953 entlassen;
  • Generalfeldmarschall von Kesselring, zum Tode verurteilt 1952 entlassen;
  • General der Flak Schmidt August, verurteilt zu 12 Jahren Zuchthaus, entlassen 1956;
  • Generaloberst von Falkenhorst, verurteilt zum Tode, 1953 entlassen;
  • Generaloberst Mackensen, verurteilt zu 21 Jahren Zuchthaus, 1957 entlassen;
  • Generalleutnant Mälzer, zum Tode verurteilt, am 24. März 1952 in Haft gestorben.

Oberstleutnant Vickers, Direktor des Werler Gefängnisses von 1946 bis 1954, der zu den "normalen" Insassen sehr streng war, behandelte die Generäle der ehemaligen deutschen Wehrmacht besonders großzügig und geradezu ergeben. Jeder von diesen erhielt zwei nebeneinander liegende Zellen und einen Gefangenen als "Knappen" in einer weiteren Zelle. Das war bei weitem nicht alles; um sich von den Entbehrungen der Kriegsführung zu erholen, durften sie in einem eigens für sie angelegten kleinen Garten spazieren gehen. Nicht selten wurden sie ungeachtet des alliierten Fraternisierungsverbotes von Oberstleutnant Vickers in seine Dienstvilla zum Tee gebeten. Schließlich besuchte im Jahr 1955 der damalige Bundeskanzler Dr. Adenauer das Gefängnis, um sich mit den letzten noch inhaftierten Generälen zu unterhalten. Kurze Zeit später wirkten einige von ihnen beim Aufbau der jungen Bundeswehr mit und bekleideten erneut hohe Offiziersränge.

1954 - 1977: Gefängnis im Wandel

 

Der erste deutsche Anstaltsleiter, der nach dem Krieg die Verantwortung für das Werler Gefängnis übernommen hatte, war – für den Zeitraum von 1954 bis 1965 – der Regierungsdirektor Peter Engelhardt. Mit ihm wurde die Leitung der Anstalt den deutschen Verwaltungsbehörden zurückgegeben. Das Zuchthaus war völlig überfüllt, statt 1.000 Insassen, die es aufnehmen konnte, befanden sich in den kleinen Zellen fast 1.800 Gefangene. Diese mussten zu je drei Mann in einer Einzelzelle und zu viert in einer Dreimannzelle untergebracht werden. Ausschlaggebend dafür war das Fehlen von Finanzmitteln und innovativen Ideen, welche die Qualität des Strafvollzugs hätten verbessern können.

Der nächste Anstaltsleiter, Dr. Werner Rupprecht, der nur für zwei Jahre die Führung übernommen hatte, versuchte die Rechte der Gefangenen zu stärken. Seitdem waren viele positive Signale erkennbar; z. B. begann sich ein ausgeprägtes kulturelles Leben hinter den Mauern zu entwickeln. Es wurde ein Gefangenenchor gegründet, der öffentliche Konzerte gab.

Der entscheidende Durchbruch kam jedoch mit Hellmut Ihle, der von 1967 bis 1984 Leiter in Werl war. Auf seine Initiative hin kam es zu dem berühmten Beschluss des Oberlandesgerichts Hamm vom 23.06.1967, demzufolge die Unterbringung von drei Insassen in einer Ein-Mann-Zelle gegen die Menschenwürde verstößt. Die unmittelbare Folge war ein fühlbarer Belegungsrückgang auf 1.430 Insassen, da zahlreiche Gefangene – bei gleichzeitigem teilweisem Vollstreckungsstopp – in andere Anstalten verlegt werden mussten. Ende der 60er Jahre war die Zahl der Gefangenen sogar auf 1.000 gesunken, wodurch die allgemeinen Haftbedingungen deutlich verbessert werden konnten. Für Hellmut Ihle war klar, dass Aggressionen abgebaut werden müssen, bevor man zu einer wirksamen Resozialisierung übergehen kann. Da er den Sport hierbei für ein hervorragendes Mittel hielt, wurden drei Sportplätze für Hand-, Faust- und Fußball errichtet. Über 500 Gefangene betrieben Sport in 30 verschiedenen Sportgruppen. Auch der Anstaltsleiter selbst ist im Faustballspielen gegen Gefangene angetreten. Einen weiteren Höhepunkt stellte die Eröffnung der landesweit ersten JVA-internen Turnhalle im Jahre 1976 dar. Dort konnte das Deutsche Sportabzeichnen in Leichtathletik erworben werde, was damals sogar bundesweit eine Ausnahme darstellte.

Der Beginn des modernen Behandlungsvollzuges zeichnete sich ab. Jetzt wurden nach und nach unbegrenzt Zeitungen und Zeitschriften, eigene Radios und Fernsehgeräte zugelassen, zunächst auf die Gefangenen mit lebenslanger Freiheitsstrafe und die Sicherungsverwahrten beschränkt, später für alle. Auch die Bastelabteilung fand ein großes Echo unter den Gefangenen. Bereits im Jahr 1968 führte die Werler Anstalt die erste öffentliche Ausstellung durch, welche jedes Jahr wiederholt wurde; zunächst innerhalb der Mauern, allerdings schon seit 1970 außerhalb des Gefängnisses. Dort konnten die Insassen ihre Arbeiten frei verkaufen. Als für die neue Zeit ebenfalls kennzeichnend kann man die Ende der 60er Jahre vorgenommene erste Einstellung eines Sozialarbeiters und, wenig später, eines Anstaltspsychologen sehen. In diesen Zeitraum fällt auch die Gründung der Gefangenenzeitung "Werler Hauspost".

 

Langsam wurden auch neue Ziele für den Strafvollzug definiert, in denen der Zweck und die Rechtfertigung einer Gefängnisstrafe letztendlich darin besteht, die Gesellschaft gegen Verbrechen zu schützen. Dieses Ziel kann nur erreicht werden, wenn die Strafzeit dazu benutzt wird, dass der Gefangene bei seiner Rückkehr in die Gesellschaft nicht nur den Willen, sondern auch die Fähigkeit besitzt, ein gesetzmäßiges und selbstständiges Leben zu führen. Die konzeptionelle Planung und Einrichtung der Schulabteilung, sowie später auch der Jungtäterabteilung in der JVA Werl, entsprechen u.a. dieser Zielsetzung.

Die 1980er Jahre


Hatten die allgemein-gesellschaftlichen Umbrüche der Jahre 1968/1969 die Reformen des Vollzuges auch in der JVA Werl begünstigt, so sorgte das am 1. Januar 1977 in Kraft getretene bundesweit geltende Strafvollzugsgesetz in den 1980er Jahren für einen weiteren Innovationsschub.

Wie kaum ein anderer wusste der Nachfolger von Hellmut Ihle, Dr. Klaus Koepsel, die Gunst der Stunde zu nutzen. Unter seiner Leitung wurden nicht nur umfangreiche Baumaßnahmen, so z.B. die jeweils vollständige Umgestaltung des Sportplatzes, des Schreinereihofs und der Anstaltsküche, in Angriff genommen; manche bauliche Veränderung war zugleich auch Ausdruck und Folge neuer inhaltlicher Vollzugskonzeptionen.

In das im Volksmund immer noch so genannte „Zuchthaus“ Werl hielten Elemente Einzug, die eher einer sozialpädagogischen Einrichtung zuzuordnen wären, so der mit einem aufwändigen Umbau des Hafthauses III verbundene Wohngruppenvollzug und der unüberwachte Langzeitbesuch, der anfänglich die Geister unter den Bediensteten und in der Öffentlichkeit schied und die Anstalt in die Schlagzeilen („Liebeszellen im Zuchthaus“) brachte.

1988 – Wohngruppenvollzug

Mit dem Wohngruppenvollzug wurden in der JVA Werl neue Wege beschritten. Langzeithäftlinge sollten aus ihrer Isolation herausgeholt und auf die spätere Wiedereingliederung in die Gesellschaft vorbereitet werden.

Wohngruppen boten von nun an mehr Freizügigkeiten, soziale Kontakte und gemeinsame Aktivitäten. Von den Gefangenen werden Anpassungsfähigkeit und Auseinandersetzung mit sich und den Mitbewohnern verlangt. Sie finden so ein alltägliches Übungsfeld für Selbstorganisationen, angemessenen Interessenausgleich und gewaltfreie Konfliktlösung.

Platz haben in den Wohngruppen 18 bis 25 Gefangene. Jede Wohngruppe hat einen gemeinsamen Gruppenraum mit angeschlossener Teeküche. Im November 1990 wurde Haus III nach dem Umbau bezogen; aus acht Wohngruppen wurden 17.

1989 – Langzeitbesuch

Ab Oktober 1989 startete die Justizvollzugsanstalt mit einem Modellversuch: Ehefrauen durften erstmals zu Langzeitbesuchen in die JVA Werl kommen: Dreieinhalb Stunden unbeaufsichtigter Besuch in einem wohnlich eingerichteten Besuchsraum waren erstmals möglich. Die Langzeitbesuche dienen der Aufrechterhaltung der familiären Bindung. Neben der Ehefrau können Insassen auch Eltern und Kinder zu Besuch empfangen.

Die Institution „Langzeitbesuche“ hat sich über die Jahre hinweg in der JVA Werl bewährt. Anfänglich erhebliche Widerstände im Kreis der Bediensteten und der Öffentlichkeit sind inzwischen verstummt. Jährlich werden bis zu 1700 Langzeitbesuche in Werl zugelassen.

Neubau der Küche

Am 5. Juli 1989 wurde in einem Festakt die neue Küche der Justizvollzugsanstalt Werl eingeweiht. Die Baumaßnahmen haben in ihrer Gesamtheit knapp 10 Millionen DM gekostet. Vor allem eine optimale Funktionalität und Wirtschaftlichkeit sollten mit der neuen Küche erreicht werden.

Das rückständige System der Essensverteilung mit Kesseln wurde endlich abgeschafft. Vorportionierte Menüs werden nun auf moderne Menagen verteilt, die in so genannten Thermo-Wagen auf die Haftabteilungen gebracht werden.

Neue Gefrieranlagen und verbesserte Lagerungsmöglichkeiten erlaubten die Nutzung kostengünstiger Großangebote, vor allem für Fleisch- und Milchprodukte.



Die 1990er Jahre


1992 – Frauen im allgemeinen Vollzugsdienst

Am 01.11.1992 wurden die ersten zwei weiblichen Kräfte im Allgemeinen Vollzugsdienst in der Justizvollzugsanstalt Werl eingestellt, ein weiterer Paradigmenwechsel in der Geschichte der Anstalt. Weitere Einstellungen von Mitarbeiterinnen folgten.

Zu Anfang hatten es die Frauen nicht immer leicht. Gegen viele Vorurteile galt es anzukämpfen. Vorbehalte sind überwunden. Ein überraschend positiver Klimawechsel hat hinter den Gefängnismauern stattgefunden. Die Frauen haben sich als hervorragende Arbeitskräfte und Kolleginnen im Strafvollzug bewährt und sind heute nicht mehr wegzudenken.

30. Juni 1992 – Ein Trauma für die JVA Werl:

Zwei Gefangene nahmen drei Sprechstundenhelferinnen, einen Zahnarzt und mehrere Vollzugsbedienstete als Geiseln. In zwei Fällen zündeten sie ihre mit Waschbenzin übergossenen Opfer an.

… nach 13 Stunden beendete das SEK Dortmund die Geiselnahme.

Die Gefangenen konnten überwältigt werden. Die Opfer erlitten schwere Brandverletzungen, die Täter wurden durch Schüsse verletzt.

Alle Opfer erfuhren nach dem schrecklichen Ereignis eine hohe Anteilnahme in der Bevölkerung.

Für sie wurde spontan in den umliegenden Städten und Gemeinden gesammelt. Mehrere tausend DM wurden gespendet.

1993

Am 04.01.1993 übernahm Volker Peters die Aufgaben des Anstaltsleiters in der JVA Werl. Am 01.04.1999 wechselte er zur JVA Bielefeld-Senne.

Unter seiner Leitung wurden die Sicherheitsstrukturen der Anstalt grundlegend durchdacht. In vielen sicherheitsrelevanten Bereichen kam es zu erheblichen Veränderungen. Die Bewegung der Gefangenen in der Anstalt wurde neu geregelt, ihr Aufenthalt im Freien dezentralisiert; die Freistundenhöfe wurden von den anstaltsinternen Verkehrswegen getrennt.

1994 – Vom M-Flügel zu Haus II

Errichtet im Jahr 1965 als Anbau des Hauses I und lange Zeit Domizil der Schulabteilung, wurden in einer Bauphase von lediglich zwei Jahren drei Wohnbereiche mit 17 Zimmern und einem Wohnbereich mit neun Zimmern im Haus II für die Sicherungsverwahrten eingerichtet.

Bei dem Umbau des Hauses wurde den Vorgaben des Denkmalschutzes Rechnung getragen. Es entstanden Unterbringungsmöglichkeiten, die den strafvollzuglichen Anforderungen umfassend entsprechen. Tageslichthelle Einzelräume gruppieren sich um unterschiedlich gestaltete Flure.

1997

Der Haupttrakt Haus I bekam ab Herbst 1993 wieder ein gläsernes Dach – nach historischem Vorbild, ein Beleg dafür, dass Denkmalpflege und Funktionalität sich nicht widersprechen.

1998

Zum Ende der 1990er Jahre hat die Anstalt das Trauma der Geiselnahme zwar noch nicht vollständig überwunden; auf der Grundlage der neu gewonnenen inneren Sicherheit sah Volker Peters aber nun wieder Spielraum für behandlerische Initiativen. In rascher Folge konzipierten, installierten und betrieben interessierte Bedienstete besondere Behandlungsangebote:

  • eine arbeitstherapeutische Maßnahme („ATM“); hier trainieren unter fachlicher Anleitung arbeitsentwöhnte Insassen zunächst ohne Druck, in einer festen Tagesstruktur regelmäßige Leistungen zu erbringen,

  • eine Behandlungswohngruppe für ausstiegswillige Drogenabhängige (zunächst „ZEBRA“ jetzt „G-Vier“), die eine externe Drogentherapie nach dem Modell „Therapie statt Strafe“ vorbereitet,

  • eine Behandlungswohngruppe für Gewalt- und Sexualstraftäter („PGS“), in der in einzel- und gruppentherapeutischen Maßnahmen die Ursachen der Delinquenz aufgearbeitet werden,

  • ein Programm für besonders hilfs- und schutzbedürftige Gefangene („GmbH“), also für solche, bei denen von ihrer Persönlichkeit her die Gefahr der Unterdrückung durch Mitgefangene besteht.

Auch dem Umweltgedanken wurde in der JVA Rechnung getragen. Eine Sonnenkollektorenanlage zur Warmwassergewinnung: Sie liefert unter guten Bedingungen an Spitzentagen die gesamte Energie zur Warmwasseraufbereitung in der JVA Werl.   

Die Anstalt heute


An der Schwelle des zweiten Jahrhunderts ihrer Existenz stellt sich die JVA Werl als die zweitgrößte geschlossene Justizvollzugseinrichtung des Landes NRW dar. Sie ist in erster Linie zuständig für solche männlichen Strafgefangenen, gegen die Freiheitsstrafen von mehr als zwei Jahren verhängt wurden und die keine günstige Prognose aufweisen. Daneben verbüßen etwa 10 % der ca. 900 Strafgefangenen als Wiederholungstäter kürzere Freiheitsstrafen von drei Monaten bis zu zwei Jahren. Zudem stehen hier 140 Plätze für Sicherungsverwahrte zur Verfügung.

Größer als in jeder anderen Justizvollzugsanstalt Nordrhein-Westfalens ist hier in Werl der Anteil derjenigen Insassen, die ihre Freiheit nicht durch den schlichten Ablauf einer noch so langen Zeitspanne wiedergewinnen, sondern sich in unbefristeter Freiheitsentziehung befinden: gegen rund 200 Insassen (ca. 20 %) werden lebenslange Freiheitsstrafen, die Sicherungsverwahrung oder die einer Sicherungsverwahrung zwingend vorausgehende Strafhaft vollstreckt. Auch dem unbefangenen Betrachter erschließt sich, dass diese Klientel ganz eigene Probleme aufwirft. Resignation, Depression, gar die Gefahr des Freitodes oder – brisanter noch – die fixe Idee, nichts mehr zu verlieren zu haben und deswegen alles riskieren zu können, sind hier weitaus häufiger anzutreffen als bei Gefangenen mit befristeten Freiheitsstrafen.

Ein anderes Problemfeld stellen die Gefangenen mit psychiatrischen Auffälligkeiten dar. Im Unterschied zu den psychisch kranken Rechtsbrechern des Maßregelvollzuges, z.B. im benachbarten Landeskrankenhaus Lippstadt-Eickelborn, hat bei diesen Gefangenen eine relevante psychiatrische Erkrankung nicht schon bei der Tatbegehung vorgelegen, sondern sich erst im Laufe der Inhaftierung entwickelt. Zu deren ambulanter Betreuung stehen neben den Anstaltsärzten forensisch erfahrene Psychiater und – für den Fall stationärer Behandlungsbedürftigkeit – die psychiatrische Behandlungsabteilung des Justizvollzugskrankenhauses Fröndenberg zur Verfügung.

Bauliche Änderungen

Das Neubaugelände vergrößerte die Gesamtgrundfläche der Anstalt 2008 um ca. 3 ha auf 13,5 ha; der umwehrte Bereich innerhalb der Mauer ist damit auf ca. 8 ha angewachsen. Es entstand ein neuer Werkhallenkomplex, der auf insgesamt 3.700 m² zeitgemäße Bedingungen für den Weiterbetrieb der Bäckerei, Schlosserei und der Schneiderei bot.

2010 sind die im Hafthaus untergebrachten Verwaltungsdienststellen in das ehemalige als Verwaltungsgebäude umgebaute Wirtschaftsgebäude umgezogen und die derzeit als Büroräume genutzten Räume des Hafthauses I sind zu ca. 70 Haftplätzen zurückgebaut und somit ihrer ursprünglichen Zweckbestimmung wieder zugeführt worden.

In 2016 erfuhr die Anstalt durch weitere Baumaßnahmen einschneidende Veränderungen, die auch Veränderungen grundlegender Organisationsabläufe nach sich zogen:

Das neu errichtete Pfortengebäude, Besuchszentrum und Gesundheitszentrum wurden in Betrieb genommen.

Ferner erhielten die Sicherungsverwahrten des Landes Nordrhein-Westfalen mit der Inbetriebnahme des auf 140 Plätze ausgelegten Wohnheims eine neue Unterkunft mit separat zugeordneter neuer Werkhalle.

Durch die Neubauten ist nunmehr eine strikte Trennung zwischen Strafgefangenen und Sicherungsverwahrten bei dem Arbeitseinsatz, bei Besuchen und ärztlicher Inanspruchnahme möglich, wie es im Urteil des Bundesverfassungsgerichts aus dem Jahr 2004 (BVerfG, Urteil vom 05. Februar 2004 – 2 BvR 2029/01) ausdrücklich vorgesehen ist.